Strand­aus­flug, ein gemüt­li­cher Abend bei Tee und Film – wie VRChat für ein (fast) rea­les Erleb­nis sor­gen kann.

Auf­grund der Mög­lich­kei­ten, sich in Sekun­den­schnel­le mit Mil­lio­nen von Men­schen aus­zu­tau­schen, ist es ein­fach zu ver­ges­sen, wie groß die­se Welt eigent­lich ist. Sozia­le Medi­en sind die trei­ben­de Kraft für Kom­mu­ni­ka­ti­on in der heu­ti­gen Gesell­schaft. Sie prä­sen­tie­ren, was und wer man ist. Sie bedie­nen das Urbe­dürf­nis nach Kom­mu­ni­ka­ti­on. Und das obwohl man sich mit nie­man­dem wirk­lich aus­ein­an­der­setzt und somit das Risi­ko unan­ge­neh­mer Momen­te ver­rin­gert. Eine eige­ne Welt­sicht ent­steht, die das heu­ti­ge Den­ken und Füh­len prägt.

Doch nun gibt es ein Spiel­erleb­nis, das den Aus­tausch noch ein­mal auf ein neu­es Stu­fe hebt, wel­ches das Gefühl des Zusam­men­seins, ohne direkt zusam­men zu sein, auf ein ganz ande­res Level bringt, und dabei noch ein­mal tie­fe Wün­sche fil­tert und Bedürf­nis­se erkennt. Die tech­ni­schen Vor­aus­set­zun­gen für VRChat sind gering. Man braucht ein VR-Head­set, das die Augen bedeckt und ein Touch-Bund­le zur Bedie­nung – schon ist man in der neu­en Welt angekommen.

Den eigenen Körper ganz neu wahrnehmen

Wir hat­ten die Mög­lich­keit, das Spiel VRChat aus­zu­pro­bie­ren. Der Anfang die­ses Aben­teu­ers war fas­zi­nie­rend und ver­wir­rend zugleich. Und doch gewöhnt man sich schnell und ori­en­tiert sich in der alter­na­ti­ven Umge­bung. Wenn man sei­nen Arm aus­streckt, sieht man nicht mehr sei­nen eige­nen Kör­per, son­dern einen ani­mier­ten Arm. Man bewegt einen Fin­ger und in genau der sel­ben Art und Wei­se bewegt auch der Ava­tar sei­nen Fin­ger. Man guckt zum Boden und sieht einen Kör­per, aber es nicht der gewohn­te, eige­ne. Wenn man redet, redet auch der Cha­rak­ter. Bewegt man den Kopf, so tut es der Ava­tar. Es ist eine per­fek­te Abbil­dung des eige­nen, gewohn­ten, rea­len Ichs. Steht man vor einem Spie­gel im Spiel, so ist man von der unge­wohn­ten Über­ein­stim­mung des Bekann­ten und Künst­li­chen schier über­wäl­tigt. Es ist ein Gefühl, das man so eigent­lich nicht erklä­ren kann. Sei­nen Ava­tar zu sehen wie sein eige­nes phy­si­sches Ich, bringt Gefüh­le her­vor, die genau­so hei­misch wie fas­zi­nie­rend sind.

Der Phi­lo­soph Jac­ques Lacan hat eine inter­es­san­te Theo­rie zur Wir­kung von Spie­geln auf­ge­stellt. Er meint, dass das „in den Spie­gel sehen” für ein Kind ein wich­ti­ger Pro­zess ist, um ein akti­ves Indi­vi­du­um in einer kom­ple­xen Gesell­schaft zu wer­den. Es ist die Kon­fron­ta­ti­on mit dem eige­nen Spie­gel­bild, die die Inter­ak­ti­on mit ande­ren prägt. Einem*einer wird erst dadurch bewusst, dass die eige­ne Stim­me im Kopf mit einem phy­si­schen Kör­per ver­bun­den ist, wie er von ande­ren gese­hen wird. 

Zurück in die Realität

Viel­leicht lässt sich so die Fas­zi­na­ti­on von VRChat als ein Spie­gel der uns umge­ben­den, sach­li­chen Welt erklä­ren, als eine Refle­xi­on zwi­schen Ver­trau­tem und Künst­li­chem. Das Gehirn sieht die neue Umge­bung nach einem Moment weni­ger als ein Spiel, son­dern als eine alter­na­ti­ve Rea­li­tät. Das merkt man spä­tes­tens dann, wenn man auf­hört zu spie­len. Ich habe mir mehr­mals mei­ne Arme gesto­ßen, weil die Län­ge der Glie­der­ma­ßen in der wirk­li­chen Welt anders als gewohnt war.

Doch abge­se­hen vom Spie­geln, was macht man im VRChat eigent­lich? Nun, reden. Man betritt einen öffent­li­chen Ser­ver, spricht mit ande­ren, meist auf Eng­lisch. Kri­ti­sches Feed­back gibt es sel­ten. Jeder hat sei­ne eige­nen Vor­stel­lun­gen, die er hier aus­le­ben will.

Viel­leicht 40 Pro­zent der Spie­len­den machen Quatsch. Sie schrei­en, wer­fen Sachen her­um, machen Wit­ze und lachen viel. Wei­te­re 20 Pro­zent der Ava­tare sind Teil­neh­men­de, die sich zwar per­sön­lich ken­nen, aber nicht tref­fen kön­nen oder wol­len. Sie reden auf öffent­li­chen Ser­vern und suchen die digi­ta­le Gemein­schaft. Zehn Pro­zent ste­hen ein­fach vor einem Spie­gel. Wei­te­re 30 Pro­zent füh­ren tief­grün­di­ge Gesprä­che, Unter­hal­tun­gen die man eigent­lich sogar nach jah­re­lan­ger Freund­schaft so nicht erlebt. Weil eben kei­ne rea­le Per­son vor einem steht, fühlt man sich nicht ver­pflich­tet, Small­talk zu füh­ren. Man redet ein­fach drauf los. Über sei­ne Emo­tio­nen, über das Leben und sei­ne dunk­len Sei­ten oder phi­lo­so­phiert ein­fach übers den tie­fe­ren Sinn des mensch­li­chen Daseins. 

Einfach mal loslassen

Die Situa­ti­on ent­zieht sich den gewohn­ten Mus­tern der rea­len Welt. Alles wirkt ein­fach und risi­ko­frei. Man gesellt sich zu einer akti­ven Grup­pe und redet mit. Es ist egal, wer man ist und wer hin­ter dem Ava­tar steckt. Wich­tig ist nur, wer man als Cha­rak­ter in die­sem Moment ist. Hat man kei­ne Lust mehr, geht man ohne ein Wort zu sagen wei­ter. Zwei Freund*innen und ich hat­ten ein drei­stün­di­ges Gespräch mit einem Fran­zo­sen aus Paris und einem US-Ame­ri­ka­ner aus New York. Sie luden uns auf einen öffent­li­chen Ser­ver zum Medi­tie­ren ein. Wir fan­den uns in einer Grup­pe von 54 Teilnehmer*innen am Meer wie­der – ein mes­ser­schar­fes Abbild des Strand­le­bens. Nach einer Dis­kus­si­on gestat­te­te man uns den Zugang auf einen pri­va­ten Ser­ver. In einer wun­der­schö­nen Win­ter­land­schaft knirsch­te der Schnee unter den Füßen, das Holz knis­ter­te und die Fun­ken sto­ben vom Lager­feu­er. Wir rede­ten über alles Mög­li­che und schau­ten am Ende in einer Holz­hüt­te einen Film.

Es war eine außer­ge­wöhn­li­che Erfah­rung. Das Zeit­ge­fühl geriet durch­ein­an­der. Als ich die Bril­le abnahm, war der Tag schon ange­bro­chen. Es war so, als ob man mit Freun­den unter­wegs war. Ich sah ihre Kör­per­ges­tik und ihre Mimik und bade­te im Wohl­ge­fühl der Emo­tio­nen, die vom engen und befrie­di­gen­den Zusam­men­sein ent­stand. Der Gedan­ke reif­te, dass die Zukunft der Mensch­heit digi­tal ist.

Auch Mine­craft erlangt in letz­ter Zeit neue Popu­la­ri­tät. Doch wor­an liegt das?

Bild: Rod­ger Shija/Pixabay
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